Zweites Kapitel
Festnahme in Tschechien
Nachts in Bratislava angekommen, orientierte ich mich recht schnell und dank eines sogleich erworbenen Stadtplanes wusste ich genau, in welche Richtung ich gehen musste.
Blauäugig, die Stadtmauern von Bratislava lagen schon um Einiges hinter mir, wanderte ich also los, um meinen Plan in die Tat umzusetzen.
Mein innerer Kompass, auf den ich mich seit jeher verlassen konnte, wies mir den Weg. In der Abenddämmerung hatte ich nur noch wenige Kilometer zu laufen bis zur ungarischen
Grenze. Die Freiheit war in greifbarer Nähe!
Mir klopfte das Herz vor Aufregung bis in den Hals.
Ich schaffe es. Anders geht es nicht, darf es nicht gehen.
Die Jugendlichen, als solche sah ich sie, die im Wald „Schießen“, oder „Pfadfinder“ spielten habe ich, als Gefahr für mein Vorhaben nicht wahrgenommen. Das war leider ein großer Fehler, denn wie sich kurze Zeit später herausstellte, waren es tschechische Grenzschützer und ich wurde kurzerhand von ihnen mit vorgehaltenen
Maschinenpistolen festgenommen.
Ich war vor Entsetzen wie gelähmt.
Das konnte doch nicht sein.
Die Freiheit in greifbarer Nähe und nun dies.
Offensichtlich war ich meinem Ziel, der Tschechisch-Ungarischen Grenze, schon näher, als
gedacht. Meine Erklärungen, ich wollte eine Freundin besuchen, zogen bei den jungen Männern nicht und so gut waren meine Tschechisch-Brocken anscheinend auch nicht. Mit meinem Schulenglisch kam ich hier anscheinend auch nicht weiter. Die Jungens hatten also mit meiner Person gute Beute gemacht und in einer wilden Fahrt ging es mit mir als Trophäe in einem alten „Wolga“ mit quietschenden Reifen ins örtliche Polizeirevier.
Es war kein angenehmes Gefühl, mit meinen vier Begleitern im Schlepp, die Treppen hinauf zu steigen, während die jungen Kerle (sie können nicht viel älter als 18 Jahre gewesen sein)
hinter mir Schießgeräusche wie „Rattattattata“ machten, wohl um jeden Fluchtgedanken im Keim zu ersticken. Es machte auf jeden Fall großen Eindruck auf mich, denn der Gedanke, dass einer der Jungs eine Stufe verfehlt und beim Stolpern seine MP sich in meine Richtung entlädt, war nicht sonderlich erheiternd.
Gut, ich bin mit dem Gedanken losgefahren, dass es für mich drei Alternativen gibt:
1. Ich schaffe es.
2. Ich werde erwischt.
3. Mich trifft eine Kugel.Man muss bei solch einem Vorhaben natürlich realistisch sein, aber für letztere Variante war
ich doch noch nicht wirklich bereit.
Aufgrund der prekären politischen Lage derzeit, glaubte man mir natürlich die Geschichte von der tschechischen Freundin in Grenznähe nicht und ich wurde vorsorglich eingesperrt.
Ich hatte mit meinen 22 Jahren noch keinerlei Gefängniserfahrungen, wusste aber sofort, dass ich nicht gerade in einer Zelle der Oberklasse untergebracht war.
Es war ein altes, feuchtes und muffiges Kellergemäuer mit beachtlichen Gittern, in dem ich eine Nacht im Dunkeln über meine Missetaten nachdenken durfte. Die schwere Eisentür schlug mit einem lauten Krachen zu. Der Nachhall in meinen Ohren wollte nicht aufhören. Es hatte etwas Endgültiges.
Eingesperrt!
Allein!
Ich hatte Angst. Furchtbare Angst. Auf was für einen Scheiß hatte ich mich da eingelassen? Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen und grübelte vor mich hin und immer mehr wurde
mir die Ausweglosigkeit meiner Lage bewusst. Du bist jetzt tatsächlich im Gefängnis. Am nächsten Tag bereits wurde ich nach Prag verlegt.
Ich war todmüde und funktionierte nur noch wie mechanisch.
Drittes Kapitel
Eine Woche in Prag
Hier bekam ich das erste Mal etwas zu Essen und das Essen war gut!
Genau so, wie ich es bereits von diversen Urlaubsreisen kannte.
Böhmische Knödel mit Gulasch, das war wirklich lecker.
Überhaupt war dort alles anfänglich nicht sonderlich schlimm, man setzte ja voraus, dass ich kooperierte.
Die Beamten waren sehr nett und von jedwedem Druck war nichts zu spüren. Nur die Dauerverhöre zu jeder Tages- und Nachtzeit nervten gewaltig. Als die Verhörspezialisten irgendwann merkten, dass ich es ernst meinte, mit meinem Vorhaben, die DDR verlassen zu wollen und es auf freiwilliger Basis für mich kein Zurück
gab, änderte sich das Verhalten meiner tschechischen Freunde. Und nicht nur das Verhalten. Anfänglich war ich in einem ganz normalen Raum mit Schrank,
Tisch, Stuhl einem Klo und einem Bett untergebracht. Nur fehlte auf der Innenseite der Tür die Klinke. Die Tschechen waren natürlich in ständiger Verbindung mit der Stasi und lieferten aktuelle Berichte über die Verhöre ab.
Ich argwöhne, dass den Kollegen in der DDR meine fehlende Kooperation nicht sonderlich zusagte. Jedenfalls änderte sich plötzlich der komplette Service und ich wurde am frühen Morgen verlegt. Nicht nur der Ton wurde rauer, der ganze Umgang wurde gröber. Die neuen Räumlichkeiten waren von erstaunlichem Standard.
Kellergeschoss!
Nach dem Eintreten in meine neue Wohnstätte durch eine sehr kompakt wirkende Stahltür sah ich an der linken Wand ein ca. 30cm breites, halbrundes Waschbecken aus weiß lackiertem Metall. Direkt im Anschluss an das Becken befand sich ein Tisch, der fest mit der Wand verschraubt war.
Vor dem Tisch ein Stuhl, der sich auch nicht verrücken ließ. Auch dieser war festgeschraubt.
An der Wand geradezu befand sich kurz unter der Decke ein Fenster, das diesen Namen nicht verdiente. Glasbausteine.
Die Wand gegenüber der Sitzgruppe beherbergte mein neues Nachtlager. Dieses war aus gleichem Material hergestellt, wie Tisch und Stuhl. Flüchtig oberflächenbehandeltes Holz, auf dem eine Decke lag, die verheißungsvolle Nächte versprach. Matratze: Fehlanzeige! Irgendwann geht man mit der jeweiligen Situation mit einer gehörigen Portion Sarkasmus um, denn die unsichtbaren Bewohner der Decke versprachen, nachts war ich ganz sicher nicht allein. Am Fußende des Bettes war ein Loch in den Betonfußboden gelassen mit ca.50cm Durchmesser, welches mit Wasser gefüllt war. In diesem Loch waren rechts und links 2 aus Beton gefertigte Sockel, die die ungefähre Form von Füßen hatten. Ich ahnte, welchen Zweck dieses Loch im Boden hatte. Daneben stand ein Eimer mit rostigem Wasser. Man bemüht sich natürlich stets um ein wenig Würde, aber irgendwann musste ich diese wenig einladende sanitäre Einrichtung ja doch benutzen. Auf meine Frage nach Papier zeigte man nur auf den Eimer mit dem Wasser. Na toll! So viel zu tschechischer Knasthygiene im Jahre 1989. Die Zelle war ca. drei Meter lang und zwei Meter breit und nach den ersten Stunden des Hinund Herlaufens wurde ich irgendwann unruhig und dachte, meine Bewacher hätten mich vergessen. Ich begann, leise in meinem Kopf, vor mich hin zu singen. Was war das denn?
Ich war doch ein Rock´n´Roller!
War ein großer Fan von Udo Lindenberg, Jimi Hendrix und Deep Purple! Warum nur fiel mir in dieser Situation Beethoven ein? War das schon der erste Schritt zum Wahnsinn?
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium!
Es herrschte absolute Stille, dadurch registriert man jedes Geräusch. So auch das leise Klicken, welches entsteht, wenn das kleine Metallplättchen weggeschoben wird, um den Blick für meine Bewacher freizugeben, die durch das Guckloch in der Tür zu mir herein schauten.
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische dein Heiligtum.
Alle Menschen werden Brüder…
Das passte zwar nicht an diesem schrecklichen Ort, half mir aber irgendwie dabei, die Sache erträglicher zu machen.
Fortsetzung folgt ….