Eine leider wahre Geschichte
Diese Geschichte ist ein Teil meines Lebens, den ich sehr intensiv erleben musste.
Ich wollte dem Leben in der DDR entrinnen und wurde dafür eingesperrt.
„Das Leben in der DDR war tägliche Freiheitsberaubung, und die war sogar nach dem DDR
– Strafgesetzbuch strafbar.
Die SED – Diktatur hat sich somit täglich strafbar gemacht. Sie war kriminell.
Menschen, die sich dem entgegen stellten, wurden zu Staatsfeinden erklärt.“
„Ich war Staatsfeind Nummer eins“
Wolfgang Welsch,
„Die Kommunisten sind rotlackierte Nazis.“
Kurt Schumacher, ehem. Vorsitzender der SPD
„In der Beziehung zwischen den Menschen ist es das Schlimmste, das einem passieren kann,
der Willkür eines anderen ausgeliefert zu werden.“
Jean-Jacques Rousseau, franz. Schriftsteller
„Es ist bitter, wie ein Verbrecher behandelt zu werden, wenn man vor seinem eigenen
Gewissen unschuldig ist.“
„Alle wissen, RF ist kein Verbrechen, es wird nur in diesem Staat dazu gemacht.“
Tina Österreich, „Ich war RF“
Diese Geschichte widme ich meinen Eltern, die von alldem nichts wussten, bis ich plötzlich weg war …Geboren wurde ich 1966 im evangelischen Krankenhaus „Maria Heimsuchung“ in Ostberlin und bin in einem unpolitischen, toleranten Elternhaus aufgewachsen. Als Kind interessiert man sich nicht für Politik. Da sind Bäume wichtiger. Oder Tiere. Oder Höhlen.
So war es jedenfalls bei mir.
Und blaue oder rote Halstücher zu weißen Hemden zu tragen, störte mich damals nicht.
Ich verband damit als Kind nichts Schlimmes.
Der Pioniergruß unserer Lehrerin Frau Schneider „Seid bereit“, auf den wir artig mit einem „Immer bereit!“ antworten mussten, war nur eine Floskel und ich hinterfragte auch nie, wozu
man „immer bereit“ sein musste. Bei uns zu Hause war Westfernsehen an der Tagesordnung, das war normal, so konnte ich immer ein wenig von der unbekannten weiten Welt dort draußen sehen.
Das war für mich alles irgendwie so unwirklich und fern und schon damals als Kind war unbewusst immer ein wenig Fernweh dabei. Ich nahm mir schon seinerzeit fest vor, irgendwann einmal diese ferne Glitzerwelt mit all
ihren schönen Menschen zu sehen.
Selbst in unserem damaligen Schwarzweiß – Fernseher erschien mir alles bunter und schöner.
Ich hatte den Eindruck, diese Menschen waren ganz anders, als die Menschen um mich
herum.
Entspannter.
Ich konnte es mir nicht erklären.
Worin lag der Zauber?
In den Ferien bei meiner Oma und meinem Opa waren meine nachmittäglichen Lieblingsserien „Wickie und die starken Männer“, „Heidi“ und „Die Biene Maja“. Damit war für mich die Welt in Ordnung und „Willi und Flip“ waren meine Helden. Der „Alm Öhi“ war wie ein lieber Opi für mich in meiner kleinen Kinderwelt und „Wickie“ war sowieso der perfekte Alleskönner und Superheld.
Als ich ein wenig älter wurde, interessierte mich dann Opas Schuppen im Garten mit all seinen Geheimnissen.
Der Garten erschien mir riesig und meine kleine Welt war voller Abenteuer. Der kleine Bachlauf war mein reißender Strom und die Nachbarskatze beherbergte alles an gefährlichen Tieren des Dschungels in sich. Ich liebte den Geruch von altem Holz und auch den rostigen Duft von altem Eisen. Damit verband ich damals Männlichkeit.
So roch auch mein Opa, wenn er in seinem blauen Arbeitsanzug von der Arbeit kam. Es waren die schönsten Jahre meiner Kindheit.
Nach der Schulzeit habe ich dann von 1983 – 1985 eine Lehre als Schneider absolviert, aber nie so recht in dem Beruf gearbeitet, die Hauptsache war, etwas gelernt zu haben. 1987 habe ich umgeschult und eine Ausbildung als Linienbusfahrer in Berlin gemacht, irgendwie musste ich beruflich Neuland erobern.
Vielleicht war es auch damals schon einen innere Unruhe, da ich mich mit dem vorherrschenden Zustand nicht zufrieden geben wollte. Nachdem ich die Schule hinter mir gelassen hatte begann ich langsam, immer mehr zu sehen.
Und was ich sah, war nicht gut! Ich begann, das System in dem ich lebte, zu hinterfragen. Erst nur für mich, aber das reichte mir nicht. Da musste doch mehr sein, das war doch sicherlich nicht alles. Dann fand ich in einem verbotenen „Udo Lindenberg – Fanclub“ Gleichgesinnte. Sympathisanten!
Und trotzdem traute man sich selbst in diesem Kreise nicht, seine Meinung frei zu äußern, da man überall mit Bespitzelung rechnen musste.
Mein Freiheitsdrang war mittlerweile dauerpräsent und ich musste etwas tun! Einen Bus ausleihen, zur Grenze fahren, aufs Dach steigen und rüber? Ja, ich kann es nicht verleugnen, der Gedanke war da!
Im Jahr 1989 bin ich dann im Juni nach einem gescheiterten Fluchtversuch in Bratislava verhaftet worden und bis zur Generalamnestie für politische Häftlinge im November eingesperrt gewesen.
Nach der Generalamnestie folgte meine Ausbürgerung nach Westdeutschland. Hier arbeitete ich seitdem als Krankenpfleger, Telebusfahrer, LKW-Fahrer, Textildrucker und Schreibtischtäter.
Aber gehen wir zurück ins Jahr 1989.
Erstes Kapitel
irgendwie weg
1989. Die Geschichten über flüchtende DDR-Bürger wurden immer lauter.
In Drittländern wurden die Grenzen transparenter und selbst Mitbewohner unseres Mietshauses, die ich für treue, brave Ostdeutsche gehalten hatte, verschwanden über Nacht gen Tschechien oder Ungarn und waren nie wieder gesehen. Ich selbst war nie der größte Freund des Landes, in dem ich aufwachsen musste, aber für Fluchtgedanken war ich bis dahin einfach zu feige. Sicher, es gab da eine gewisse Unruhe in mir, aber vor den Konsequenzen beim Erwischt werden hatte ich schon gehörigen Respekt. Angeregt durch die tägliche Dauerberieselung in den Abendnachrichten von RTL und SAT1, in denen immer wieder aufs Neue berichtet wurde, wie viele es wieder geschafft hatten, in den Westen zu fliehen, schwand aber meine Feigheit täglich ein Stück mehr. Proportional dazu wuchs mein Optimismus immer mehr und ich beschloss für mich, dass die Grenze irgendwie zu passieren sein musste.
Der Freiheitsdrang wurde immer größer, wahrscheinlich war ich doch schon immer ein unruhiger Geist, der mehr wissen und sehen wollte. Ich hatte mittlerweile nur noch das eine Ziel vor Augen.
Ich musste es irgendwie schaffen, in den Westen zu kommen! Hatte ich doch als 11-jähriger schon beschlossen, einmal meinen Onkel in Amerika zu
besuchen.
Meine Fluchtpläne wuchsen also.
Dem Grenzübergang „Bornholmer Straße“, der an dieser Stelle durch die Bösebrücke beide Stadtteile teilte, stattete ich diverse Besuche ab und es musste, im Nachhinein gesehen,
hunderte Fotos von mir in irgendwelchen Archiven gegeben haben. Die Grenzanlagen an der Kiefholzstrasse in Berlin-Treptow kannte ich fast metergenau.
Dort war die Mauer nicht mit dem fluchtabweisenden runden Aufsatz versehen. Wo sich jetzt die beliebte und weltbekannte „Eastside – Gallery“ befindet, sollten auch schon
Fluchtversuche erfolgreich gewesen sein. Warum sollte es nicht auch mir gelingen?
Auch die S-Bahn-Strecke zwischen den Bahnhöfen „Schönhauser Allee“ und „BerlinPankow“ übten einen besonderen Reiz auf mich aus.
Man fuhr durch Westberliner Gebiet über die so genannte „Ulbrichtkurve“. In diesem Bereich wurden allerdings die Türen extra verriegelt und der Zug fuhr plötzlich deutlich schneller, als üblich. Also auch kein guter Gedanke, es dort zu versuchen. Da ich zu jener Zeit Busfahrer war, überlegte ich ernsthaft, mir einen Bus „auszuleihen“, damit zur Grenze dicht an die Mauer zu fahren, aufs Dach zu klettern und rüberzuhüpfen. Bis zu einem gewissen Punkt hätte das sicher funktioniert. Einfach vorne das Schild „Sonderfahrt“ rein und ab durch das nördliche Berlin zur Mauer. Den Bus hätte niemals jemand angehalten, da Sonderfahrten in Berlin an der Tagesordnung
waren und schon fast zum Stadtbild gehörten.
In Schönfließ, etwas nördlich von Berlin, gegenüber dem kleinen Westberliner Örtchen Lübars kam man unglaublich dicht mit einem Fahrzeug an die Grenzbefestigungen heran.
Das hätte gepasst, der Berliner Linienbus war drei Meter sechzig hoch, genau wie die Berliner Mauer.
Glücklicherweise hörte ich etwa zeitgleich von dem so genannten „Stalinteppich“, der aus Metallmatten bestand, die mit 16 Zentimeter langen Nägeln gespickt waren. Dieser „Teppich“ lag direkt hinter der Mauer und sollte den Flüchtling sofort unsanft stoppen. Also auch keine ernsthafte Option. Ich war also nicht untätig in meinen Recherchen.
Irgendwie war mir dann die Nummer mit dem Bus doch ein wenig zu groß und zu gefährlich und ich wählte die etwas weniger spektakuläre Variante. Alles, was nicht niet – und nagelfest war, versetzte ich innerhalb kürzester Zeit, denn ich brauchte Bargeld für mein Vorhaben. Ich setzte mich abends am 20.Juni 1989 in den Zug nach Bratislava. Da diese Stadt am dichtesten an der Ungarisch-Österreichischen Grenze liegt, war es mein Plan, im Dunkel der Nacht, über die „grüne Grenze“ nach Ungarn und von dort aus nach Österreich zu gelangen.
Für den Fall, dass ich gefasst werden sollte, schickte ich am Tag meiner Abreise noch einen Ausreiseantrag an die entsprechende Behörde.
Fortsetzung folgt ……